“Die Woche der Wahrheit“ titelt Petra Fröhlich, Chefin des Branchendiensts Gameswirtschaft in ihrer Kolumne „Fröhlich am Freitag“ und bläst so zum Start der heißen Phase der Gamescom 2022.

 

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Impression von der gamescom 2019. Eingang Nord

Nach zwei Jahren Dürre endlich wieder Gamescom! Yay! Aber es wird eine andere Gamescom werden. Eine Leitmesse, nach zwei zuweilen absurd anmutenden Versuchen aus dem Stand im digitalen Raum dieselbe Relevanz zu gewinnen, wie im heimischen Messehallen-Kiez bei Kölsch und Halve Hahn. Auf einer von ganz anderen Akteuren schon virtuos bespielten, weltweiten Bühne mit völlig anderen Gesetzen. Eine Leitmesse also, nun selbst auf der Suche nach Halt, nach Sinn und Perspektiven. Und damit jetzt schon eine der spannendsten Games-Messen überhaupt.

Neustart mit Lücken

Aussteller die abgesagt haben: Activision Blizzard, CD Project Red, Electronic Arts, Nintendo, Rockstar Games, Sony Interactive und Wargaming, um hier nur die Größten zu nennen. Und die Absage von Twitch, der weltgrößten Livestreaming-Plattform, die durch Gaming groß geworden ist und die die Lebensgrundlage für viele der erfolgreichsten Games-Influencer:innen ist, ist nochmal eine eigene Erwähnung wert.

Auch 2022 wieder ein neuer Flächenrekord 

Ist die Messe für Branchenprofis damit uninteressant? Keineswegs. Weit über 1.000 Aussteller haben zugesagt, das ist das Niveau der letzten „physikalischen“ Gamescom von 2019. Der Anteil an internationalen Teilnehmern liegt mit 75 Prozent weltweite-Relevanz-versprechend hoch und die bespielte Fläche soll den offiziellen Angaben zufolge gegenüber 2019 sogar um 2.000 auf 220.000 Quadratmeter gewachsen sein. Und damit satte 100.000 qm mehr Bühne für die Aussteller bieten, als die erste Gamescom in Köln anno 2009. (Das Debüt der Vorgängerveranstaltung GamesConvention in Leipzig im Jahr 2002 kam übrigens auf schlappe 40.000 qm.) Wieder ein neuer Ausstellungsflächenrekord also, trotz der prominenten Absagen. Doch Fläche allein ist kein Gradmesser für Relevanz.

Weniger Aussteller bei mehr Fläche = mehr Chancen für Kleine & Kreative?

Mehr Fläche bei weniger und weniger prominenten Ausstellern kann neben einem dezenten Hinweis auf günstigere Flächenpreise vor allem eines bedeuten: Mehr Raum und Chancen für die, die kommen. Wer also, trotz Corona-Widrigkeiten, verschobener Spitzentitel oder was sonst noch an offiziellen „Gamescom dieses Jahr leider ohne uns“-Begründungen rausgehustet wurde, gerade seinen Stand aufbaut, wird für seine Themen auf mehr Aufmerksamkeit hoffen dürfen. Kreative Konzepte könnten in diesem Jahr eine bessere Chance haben, sich gegen die Gigantomanie der Spielstationen-Kino-Paläste mit ihren Loveparade-Schalldruckorgien durchzusetzen.

Indie Arena auf 1500 qm – Aufbruchssignal oder Armutszeugnis? 

Dass der größte Messestand in diesem Jahr von der Indie Arena gehalten wird, ist ein starkes Indiz für die Verschiebung des Fokus weg von Blockbuster-Getöse hin zu kleineren Unternehmen und Themen. Das könnte eine Chance sein, den so geschaffenen Raum auch in Bezug auf mediale Aufmerksamkeit intelligenter zu nutzen und zu bespielen. Und intelligenter als 6-Stunden-Warteschlangen vor einer Ego-Shooter-Spielstation ist jetzt nicht soo schwer.

Andere lesen diese Meldung als letzten Beweis für das Ende des klassischen Messeformats. Letztlich liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen.

Wetten auf Besucherzahlen 

Abzuwarten bleibt auch wie sich diese Bewegung weg vom „Großen“ hin zum „Kleineren“ in den Publikumshallen auswirken wird. Angefangen bei den Ticketverkäufen, zu denen es die letzten offiziellen Zahlen vor über zwei Monaten gab. Was jetzt nicht das ermutigende Zeichen ist. Da war von 60.000 die Rede. Die deutsche Gamesbranche wettet seitdem auf die finalen Besucherzahlen, die meisten haben sich im Bereich von um die 150.000 bis 250.000 verkaufter Eintrittskarten eingependelt. Da ist aber in jede Richtung eine fette Überraschung drin. Als Benchmark dient die 2019er Rekordbesucherzahl von 373.000 Teilnehmern. Die werden es wohl auf keinen Fall werden. Darauf weist auch eine Aktion der Messe Köln hin, die gerade einige Kontingente Eintrittskarten für den Abschlusssonntag in Form von Codes gratis unters Volk bringt. In Post-Corona-Zeiten und gerade bei dieser strategisch so wichtigen Veranstaltung eine verständliche und auch nicht unübliche Maßnahme. Bilder von leeren Messehallen braucht jetzt niemand, am allerwenigsten die Gamescom.

Bei aller Zuversicht für eine so oder so gelungene Gamescom 2022: Die Messe Köln, die Fachbesucher und die Eintrittzahlenden auf dem Showfloor werden das Fehlen der abwesenden Branchenurgesteine – und hier sind Unternehmen und Personen gemeint – teils schmerzhaft spüren.

Die Gamescom 2022 als Testlabor im Strukturwandel von Kommunikation und Marketing 

Und daran wird man sich gewöhnen und anpassen müssen, das wird in Zukunft so oder ähnlich bleiben. Denn die diesjährige Situation ist nicht rein irgendwelchen Corona-Effekten geschuldet. Vielmehr hat sich schon in den Jahren vor Covid 19 eine Tendenz hin zu möglichst komplett selbst kontrollierter Kommunikation gezeigt. Corona hat hier, wie auch in anderen digitalen Kommunikationsthemen, als Katalysator gewirkt. Back to „normal“? Wird es nicht geben. Das neue Normal in der Produkt-, Brand und Bizdev-Kommunikation wird gerade entwickelt, eines der Versuchslabore ist die Gamescom 2022.

Der Mensch – und das Business – lebt nicht vom Stream allein 

Die Zukunft wird außerordentlich spannend, auch in anderen Branchen. Aber hier, in einem Bereich, der technologisch bedingte Disruptionen zuerst zu spüren bekommt und diese sogar selbst anstößt und entwickelt, wird nun die nächste Inkarnation von Messe geprobt. Alles in allem also eine richtungsweisende Veranstaltung mit starker Signalwirkung in viele Richtungen. Insofern hat Petra Fröhlich mit „Woche der Wahrheit“ ein treffendes Motto für die diesjährige Branchenleitmesse ausgegeben.

Wir als Ranieri Agency sowie einige unserer Lieblingskunden sind dabei um diese Zukunft mitzugestalten. Und wie auch immer die aussehen wird: Wir freuen uns ganz im Hier und Jetzt wie Bolle über jede Begegnung mit alten Weggefährten und neuen Freunden! Denn wir sind der Überzeugung, dass abseits allen unbestrittenen Bedarfs an cleveren und effektiven Kommunikationskonzepten nichts so wichtig für den Aufbau nachhaltiger, vertrauensvoller Beziehungen ist, wie das Treffen von Angesicht zu Angesicht und die so verbrachte Zeit. Bei aller gebotenen Vorsicht und den entsprechenden Schutzmaßnahmen versteht sich.

Ranieri wünscht allen eine in jeder Hinsicht bereichernde Gamescom 2022 – und bleibt gesund!